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www.jta.at - 01.12.1999 Was war, was ist die Rolle des Jüdischen Theaters in Österreich?
Von Dr. Brigitte DalingerAutorin von Verloschene Sterne - Geschichte des Jüdischen Theaters in Wien (2000. Wien, www.jta.at). Von 1900 bis 1938 gab es in Wien eine kleine, aber äußerst rege jüdische Theaterszene, die Kabarett, Kleinkunst, Singspiele und Operetten ebenso wie abendfüllende Dramen auf die Bühne brachte, und zwar in jiddischer, hebräischer und deutscher Sprache. Die jiddischen Ensembles – etwa die Jüdische Bühne, die von 1908 bis 1938 bestand oder die ambitionierten Jüdischen Künstlerspiele – setzten sich aus Schauspielern aus dem Osten Europas zusammen, sie spielten vorzugsweise Operetten, Melodramen und Jiddische Revuen, in denen nicht nur Gesang und Tanz eine wichtige Rolle spielten, sondern auch aktuelle Probleme zur Sprache kamen. Das jiddische Theater in Wien hatte mehrere Funktionen: es bot für jiddisch verstehende Immigranten aus den östlichen Gebieten der ehemaligen österreichisch- ungarischen Monarchie und aus Osteuropa einen Treffpunkt, an dem sie sich in ihrer Muttersprache verständigen konnten. Gleichzeitig schaffte es das erfolgreichste jiddische Ensemble Wiens, die Freie Jüdische Volksbühne, die von 1919 bis 1923 existierte, die Grenzen des zweiten Wiener Gemeindebezirkes hinter sich zu lassen und auf Bühnen wie dem Theater in der Josefstadt auch ein nichtjüdisches Publikum zu begeistern. Die deutschsprachigen Ensembles wie das Jüdisch-Politische Cabaret und das Jüdische Kulturtheater zeigten die Probleme der Zeit, sie brachten Texte und Theaterstücke über den Antisemitismus und - ab 1933 – über die Zustände im benachbarten NS-Deutschland. Das Jüdisch-Politische Cabaret wirkte auch bei Wahlveranstaltungen zur Wahl des Vorstands der Israelitischen Kultusgemeinde mit, es setzte sich für die Zionisten ein (und sie gewannen die Wahlen). Das Jüdische Kulturtheater hatte neben seinem engagierten Spielplan auch eine wichtige Funktion als Emigrantenbühne: jüdische Schauspieler, die aus Deutschland fliehen mussten, konnten hier ein Engagement finden. Alle jüdischen Theater und Ensembles, in welcher Sprache sie auch spielten, setzten sich für eine bewusste jüdische Identität ein, und sie versuchten, Brücken zu bauen: zwischen assimilierten Westjuden und jüdischen Flüchtlingen aus dem Osten, die besonders während und nach dem Ersten Weltkrieg nach Wien kamen; und zwischen Juden und Nichtjuden, denen in anspruchsvollen Inszenierungen literarischer Dramen unbekannte Facetten des jüdischen Lebens näher gebracht wurden. Und darin liegt die Hauptaufgabe des Jüdischen Theaters Austria: mithilfe der spezifischen Mittel des Theaters die jüdische Kultur vorzustellen und sie als Teil der österreichischen Kultur wieder in Erinnerung zu bringen. Gerade die Vielfalt der Komponenten, aus denen ein Theaterabend besteht – Sprache, Schauspiel, Bühnenraum und Bühnenbild, Kostüme und Musik – sind geeignet, Vorurteilen und Mystikifationen auf besinnliche und unterhaltsame Weise entgegenzuwirken.
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